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  • AutorenbildCaro Schaefer

Die Links-Rechts-Schwäche

Aktualisiert: 20. Mai 2022

Gibt es ein Ereignis, wo ich noch genau weiß, wo ich war, als es passierte? Diese Frage stellte ich mir, als ich mich an den Tisch in meiner Küche setzte, einen Abend vor der nächsten Probe, wo wir über genau dieses Ereignis erzählen sollte und war ratlos. Ich haderte. Schreib ich über die Ergebnisse der diesjährigen Bundestagswahl, die mich zutiefst betroffen gemacht hatte oder doch über den 13.März.2020, als eine Pandemie ausbrach, die mich derzeit immer noch betrifft? Grobe Zweifel legten sich wie eine Decke auf mich und meine Finger. Ich schrieb nichts. Ich schrieb nichts. Nichts. Punkt. Nichts. Dann kam mir Juli 2017 in den Kopf. Die ersten Juliwochen 2017. Speziell die Tage um den 7./8. Juli 2017. Da weiß ich, wo ich war.


Wenn ich jetzt so drüber nachdenke, kann ich mich an mich selbst gar nicht mehr so erinnern. Also wie ich so war und aussah im Juli 2017. Da war ich 16. Im Juli 2017 blieb ich zwei Tage und Nächte lang wach. Vielleicht waren es auch drei Tage. Ich saß in meinem Zimmer. Ich saß auf meinem Bett, irgend so ein Ikea-Standardbettmodell. Mein Zimmer war ganz dunkel. Eigentlich möchte ich das nicht. Also wenn mein Zimmer ganz dunkel war. Aber da, an diesen Tagen, war es ganz dunkel. Nur mein Laptopbildschirm leuchtet. Er leuchtet. Er flimmerte. Er strahlte. Er glühte. Es waren die Gifpeltage. G20. Treffen der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer. In Hamburg. Tagungsort. Hamburg Dammtor/Messe Zentrum.


Woran ich mich erinnere, ist, dass ich kurz zuvor mit meiner Mutter für ein verlängertes Wochenende in Hamburg war. Der übliche Kram. Sightseeing. Shoppen. Theater. Kurzurlaub in der Hansestadt. Der übliche Touristenmist.


Hamburg Dammtor/Messe Zentrum. Da war unser Hotel. Von unserem Hotelfenster konnte man auf die Messe schauen. In der Ferne der Hamburger Dom erkennbar. Da hat es die gesamte Nacht geblinkt. So vom Riesenrad und vom Autoscooter, den Greifautomaten und von den Zuckerwatteständen. Nur nach gebrannten Mandeln roch es nicht. Dafür war es zu weit weg.


Die Gipfelwoche. Bereits im Vorhinein hatte man ein riesiges Sicherheitskonzept für den G20-Gipfel in Hamburg entwickelt. Man kritisierte die Entscheidung Hamburg zum Austragungsort zu ernennen. Man rechnete mit Protesten angesichts der großen linken Szene in Hamburg. Angesichts der geladenen Gäste.

Xi Jinping.

Wladimir Putin.

Donald Trump.

Recep Tayyip Erdoğan.

Nur vier Namen, die mir sowohl jetzt als auch zu der Zeit die geläufigsten Namen waren.

Ich saß also in meinem Zimmer. So typisches Jugendzimmer. Kein wirklich klarer Faden in der Inneneinrichtung. Ich saß dort und verfolgte den Newsticker zu den Ereignissen in Hamburg. Parallel dazu stand ich im Dauerkontakt mit einem Freund über Whatsapp. Wenn jemand von uns beiden ein Update entdeckte, schickten wir es dem anderen rüber. Ich sah mir Liveschalten von Reporter*innen vor brennenden Barrikaden aus Hamburg an. Ich checke meine sozialen Medien. Ich sah tagsüber friedliche Proteste. Protestlagerauflösungen. Donald Trumps Ankunft per Helikopter. Ich sah Demonstrationsschilder. „Welcome to Hell“. Ich sah Polizist*innen. Ich sah Vermummte. Wasserwerfer, die am Bordstein lauerten. Schlagstöcke, die warten. Ich sah ein „Ich bin Anwohner. Ich gehe nur kurz zu Edeka.“-Schild. Am späten Nachmittag sah ich Polizeiübergriffe. Ich sah zum ersten Mal, wie Polizeigewalt aussehen kann. Ich sah Widerstand. Abend und nachts sah ich Widerstand, der in Gewalt umschlug. Gewalt, die für mich in dem Moment nicht schlüssig war.


Ich erkannte manches wieder. Im Schanzenviertel war ich vorher immer, wenn ich mit Freund*innen nach Hamburg gefahren bin. An der „Roten Flora“. Im Karolinenviertel. Ich kannte das. Ich kannte Hamburg Dammtor/Messe Zentrum. Ich kannte die Touriperspektive. Nur diese Bilder auf meinem Laptop in meinem dunklen Zimmer waren mir fremd. So fremd. Die Bilder von vermummten Demonstrant*innen und vermummten Polizist*innen. Die brennenden Autos. Die Bilder von Barrikaden. Die brennenden Barrikaden. Die Bilder von Wasserwerfern. Die Bilder von zerschmissenen Fensterscheiben des Budni´s. Die Bilder von behelmten Polizist*innen, die mit Schlagstöcken auf Demonstrant*innen einprügeln. Die Bilder von Demonstrant*innen, die Backsteine von einer Baustellenbrüstung auf Polizist*innen warfen. Die Fernsehbilder, die flackerten wie das Riesenrad in der Ferne. Das Riesenrad vom Hamburger Dom. Nur den Brandgeruch in den Straßen, den roch ich nicht. Den roch ich nicht in meinem Zimmer. Der war zu weit weg. Genau wie der Geruch nach gebrannten Mandeln vom Dom.


Hamburg Dammtor/Messe Zentrum. Die Messe, in der wichtige Menschen sich treffen würden, um aus dem Klimaabkommen von Paris auszutreten, wo sich der amerikanische Egomane oder der russische Diktator das erste Mal die Hand schütteln sollten, der Ort wo man Despoten Raum für ihre Macht gab. Das Messe Zentrum, dass ich aus meinem Hotelzimmerfenster sah, bevor die Gipfelwoche kam. Bevor Versammlungsverbotszonen eingerichtet worden sind. Bevor man Wohnung nach Sprengstoff durchsuchte. Bevor Horden von Polizeibeamt*innen nach Hamburg beordert worden. Bevor Horden von Demonstrant*innen nach Hamburg reisten Bevor Journalist*innen ihre Presseakkreditierung entzogen wurde. Bevor Schlagstöcke schlugen. Bevor Wasserwerfer Wasser warfen. Bevor Barrikaden errichtet und Autos brannten. Bevor der friedliche Widerstand in Gewalt umschlug.


Später sagte man, man hätte G20 nie in einer Stadt wie Hamburg austragen dürfen.

Ich war 16. Ich war zuhause in meinem Bett. Weit weg von den Ausschreitungen. Wieso hat mich dieses Ereignis also betroffen bzw. betroffen gemacht? Spreche ich aus der Sicht meines 16-Jährigen-Ichs hat es mich betroffen gemacht, dass Macht alles legitimieren kann. Egal ob ich nun Donald Trump oder die Polizei als Beispiel nehme. Und es hat mich betroffen gemacht, dass ich so völlig machtlos war. Dass ich machtlos in meinem Bett saß und ich nicht selbst vor Ort war und Teil der friedlichen Proteste war. Es hat mich betroffen gemacht, dass die Proteste in diese Gewalt umgeschlagen sind, denn ich bin überzeugte Pazifistin. Ich glaube nicht dran, dass Gewalt die Lösung ist. Was mich betroffen machte, war zu sehen, dass etwas Großes passiert und ich nur aus der Ferne alles verfolgte. Aus meinem Kleinstadtkaff. Das klingt genauso engstirnig, wie ich es damals dachte.


Spreche ich aus der Sicht meines 20-jährigen Ichs macht es mich sehr betroffen, das Fazit zu lesen. Immer und immer wieder. G20 hätte in einer Stadt wie Hamburg nicht ausgetragen werden sollen. Warum? Weil Menschen dort leben, die ihren Unmut kommunizieren, sich zusammenschließen und gemeinsam dagegen demonstrieren, dass Trump, Putin, Jinping oder Erdogan eine Plattform in ihrer Stadt gegeben wird? Die Trump, Putin, Jinping oder Erdogan zeigen wollen, dass man hier kein Bock auf sie hat? Es sind ja nicht nur autonome Linke unterwegs gewesen.

Ich bin 20. Irgendwie betrifft mich dieses Ereignis immer noch. G20 ging in die Geschichte ein. G20 in Hamburg löst sämtliche Bilder in den Köpfen von Menschen aus. Vandalismus. Brennende Autos. Putin. Trump. Rauchwolken über Hamburg. Bürgerkriegsvergleiche der Presse. Verhaftungen. Linke Gewalt. Polizeigewalt. Nach G20 brach eine riesige Debatte über linke Gewalt und Linksextremismus in Deutschland aus. Die gewalttätige Linke stellte plötzlich ein jahrelang vergessenes Problem in der Politik dar. Eine vernachlässigte Gefahr. Und mit dem Begriff der gewalttätigen Linken vermischte man die linken Positionen im Allgemeinen. Dass sich in den vergangenen Jahren zwischen 2017 und jetzt die Anzahl an rechtmotivierten Straftaten summierte, tat man etwas beiläufig als Einzelfälle ab. Und selbst, wenn man sie nicht als Einzelfälle abtat, fiel es der Politik schwer das Problem rechter Gewalt beim Namen zu nennen und es strikt anzugehen. Man glaubte auf dem linken Auge blind gewesen zu sein. Links-Rechts-Schwäche.

2018. „Hetzjagden“ in Chemnitz.

2019. Der Mord an Walter Lübcke.

2019. Anschlag auf eine Synagoge in Halle(Saale).

2020. Anschlag in Hanau.

Seht hin! Macht das rechte Auge auf!

Selbes gilt für den Umgang mit dem Polizeiapparat und den dazugehörigen Strukturen. Angefangen von irgendwelchen Polizeichatgruppen in denen, man sich Hitlergrüße und rechte Memes zuschickt, endet es wohl oder übel damit, dass gewisse Personen dann im Dienst ihre Uniform zu ernst nehmen und sie willkürlich missbrauchen für ihre Machtspiele. Das leidige Thema von Horst Seehofer, der kein Bock auf ne Studie zum Racial Profiling innerhalb der Polizei hat, weil es ja nicht nötig sei, schließt daran an.


Es macht mich betroffen, dass 2021 noch nach allem was geschehen ist, rechte Gewalt anscheinend Platz hat in unserer Gesellschaft. Dass rechte Gewalt toleriert wird. Im Gegensatz zu brennenden Porsche und SUVs. Die sind ungern gesehen, gerade bei einer Autonation wie Deutschland. Staatsfeindlich. Das klingt genauso zynisch, wie ich es jetzt denke. Aber jetzt bin ich 20 und halt nicht mehr 16. Jetzt bin ich halt nicht mehr engstirnig, sondern zynisch.

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